Natur-Park Schöneberger Südgelände
„Freie Bahn für Mensch und Natur“
(Dr. L. Spandau, Vorstand der Allianz-Umweltstiftung)
Das sogenannte Schöneberger Südgelände ist eng mit der über 170-jährigen eisenbahnhistorischen Entwicklung von Berlin verbunden. Es wird auf drei Seiten von Gleisen umgeben: im Westen von der „Stammbahn“ (Berlin-Potsdam, erbaut 1838), im Osten von der „Anhaltischen Bahn“ (erbaut 1842) und im Norden von der Berliner Ringbahn (erbaut 1871). Die isolierte Lage der damaligen Feldmark südlich des Dorfes Schöneberg legte weitere Eisenbahn-relevante Nutzungen nahe, die sich u.a. in dem früheren Reichsbahn-Ausbesserungswerk dokumentierte (heute teilweise als Baumarkt genutzt). 1889 ging hier der Rangierbahnhof Tempelhof in Betrieb. Er wurde in den 1920er Jahren stark erweitert und entwickelte sich bis 1945 zu einem der wichtigsten Güterbahn-Einrichtungen in Berlin. Die Speer-Planungen zur „Reichshauptstadt Germania“ sahen hier in den 1930er Jahren den gigantischen „Südbahnhof“ vor, die jedoch
nicht realisiert wurden.
(Allerdings wurden deshalb die Schrebergärten auf der anderen Seite der S-Bahn damals bereits geräumt).
Nach dem 2. Weltkrieg wurde im Viermächte-Abkommen die gesamte Berliner Bahninfrastruktur der Verwaltung der Deutschen Reichsbahn unterstellt, deren Sitz im sowjetischen Sektor der Stadt lag. Somit wurden die Bahngelände im späteren West-Berlin faktisch zu Exklaven der DDR. Im Zuge der weiteren politischen Entwicklungen („Kalter Krieg“) wurde der Bahnbetrieb 1952 auf dem Güterbahnhof Tempelhof eingestellt. Zurück blieb ein mehr oder weniger „vergessenes“ Gelände: die Deutsche Reichsbahn nutzte es nur sehr eingeschränkt („Brückenmeisterei West“), während die West-Berliner Seite zwar planerische Begehrlichkeiten zeigte, aber keinen Zugriff darauf hatte.
Durch die reduzierte Einwirkung des Menschen siedelte sich in den folgenden Jahrzehnten eine vielfältige Tier- und Pflanzenwelt zwischen den Gleisen des ehemaligen Güterbahnhofs an. Einheimische aber auch eingewanderte Arten, z.T. über den früheren, europaweiten Bahnbetrieb eingeführt, bildeten eine vielfältige Mischung. So entstanden auf der innerstädtischen Eisenbahn-Brache in den folgenden Jahrzehnten zunehmend ökologisch wertvolle Lebensgemeinschaften. Das sachkompetente Engagement von Bürgerinitiativen führte schließlich dazu, dass diese Melange aus Bahnrelikten und aufstrebender Natur erhalten blieb; schließlich wurde das Gelände, gerade auch wegen der Existenz seltener und sogar geschützter Arten, unter Natur- bzw. Landschaftsschutz gestellt.
Nach 1990 fiel der ehemalige Rangierbahnhof Tempelhof im Zuge der Umstrukturierung des Berliner Fernbahnsystems aus den Planungen heraus und wurde als Bahn-Fläche entwidmet. Aufgrund seiner wertvollen ökologischen Situation überschrieb die Bahn das Gelände nun als Ersatzmaßnahme für ihre innenstädtischen Bautätigkeiten dem Land Berlin mit der Maßgabe, hier einen Natur-Park einzurichten. Finanzielle Mittel des Berliner Senats, sowie Zuwendungen der Allianz Umweltstiftung ermöglichten es, dass der zentrale Teil des ehemaligen Güterbahnhofs im Jahr 2000 als 18 ha großer „Natur-Park Schöneberger Südgelände“ der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde. Seine Wegeführung nutzt in Längsrichtung die erhaltenen Gleise, indem diese mit Erde aufgefüllt wurden, Querwege kreuzen die Schienen, quasi als „Bahnübergänge“, mit eingelegten Eisenbahnschwellen. Auch Rampen, Überführungsbauwerke und der Abrollberg sind in das Wegenetz eingebunden oder werden als Aussichtsbereiche genutzt. „Wegweisend“ ist eine 800 m lange Eisenkonstruktion durch das Naturschutzgebiet: quer auf den Eisenbahnschienen liegende Eisenröhren bilden den Unterbau für in Stahlträger eingelassene Gitterroste. Auf diesen gehen die Besucher. So wird darunter auf dem Boden die Lebenswelt von Pflanze und Tier nicht unterbrochen und der Besucher wird daran gehindert, den Weg zu verlassen. Zusätzlich zu diesem naturschützenden Aspekt erinnert diese Konstruktion an einen langgestreckten Eisenbahnzug, der sich durch die vielfältige Natur-Landschaft hindurch zieht.
Dies illustriert die dritte Konzeptschiene im Natur-Park: die bildende Kunst. Eisen- und Stahl-Skulpturen der Gruppe ODIOUS fügen sich vermittelnd zwischen die Relikte der vergangenen Eisenbahntechnik und die lebendige, aufstrebend wuchernde Natur ein. Dazu gehören nicht nur der auf Eisenrohren liegende Gittersteg durch das Naturschutzgebiet („au traverse de grass“) mit „Baumhaus“, „Belvedere“ oder „Treppenpyramide“, sondern auch viele Einzelwerke. Durch Umnutzung des ehemaligen Kohlenlagers für die Dampflokomotiven entstand 2005 im Natur-Park der „Giardino Segreto“. Hier mit wird eine Tradition aus der italienischen Renaissance mit modernen künstlerischen Mitteln fortgestzt. Dort gehörte zu einer „Villa“ (hier die Lokhalle) ein „geheimer Garten“, in dem es möglich war, zu feiern, bei Musik lustzuwandeln oder sich „dezent“ zurückzuziehen. Ein „giardino segreto“ war durch Mauern von der natürlichen Umgebung (in unserem Fall zum Natur-Park hin) abgegrenzt und präsentierte sich im Innern als hochstrukturiert angelegte Gartenanlage mit Kunstgegenständen, Pavillons, Quellgrotten und zum Teil besonderen Pflanzen. Der Giardino Segreto im Natur-Park spielt mit diesen Elementen, nimmt die Eisenbahnhistorie auf und präsentiert Skulpturen wie Pflanzen und Pflanzen wie Skulpturen. Seine Errichtung wurde v.a. durch Zuwendungen der Allianz Umweltstiftung finanziert.
Neben Stellwerk-Ruinen und einigen verfallenen Funktionsgebäuden sind auf dem Gelände die „ehemalige Brückenmeisterei“ und die „Lokhalle“ erhalten geblieben. Erstere beherbergt heute die Parkverwaltung und das Park-Café Paresüd, das in den warmen Jahreszeiten an Wochenenden geöffnet hat. Die etwa 40 000 m2 große Lokhalle wurde ab etwa 1907 erbaut. In ihrer „aktiven Zeit“ war sie dreimal so lang und diente als Reparaturwerkstatt für Lokomotiven, die über eine (noch vorhandene) Schiebebühne auf die jeweiligen Arbeitsgleise verteilt wurden. Nach der momentan durchgeführten denkmalgerechten Instandsetzung ist geplant, die Lokhalle als eindrucksvollen Veranstaltungsraum für Konzerte, Tanz- und Theateraufführungen sowie für Ausstellungen zu nutzen.
Die herausragende Landmarke im Natur-Park Südgelände ist der 50 m hohe Wasserturm. Er wurde 1927 nach Plänen des Reichsbahnoberrats Hugo Röttger im Rahmen der Erweiterung des Verschiebebahnhofs gebaut und diente der Sicherstellung des Wasserbedarfs für die Dampflokomotiven. In seiner reinen Eisenkonstruktion entspricht er den Prinzipien der „Neuen Sachlichkeit“, einer dem Bauhaus und dem Expressionismus nahestehenden Stilrichtung. Der Wasserturm gilt als einzigartig in seiner Art, er steht unter Denkmalsschutz.
Im Gesamtbild weniger auffällig, aber trotzdem eine eisenbahntechnische Attraktion ist die erhaltene Drehscheibe, die als eine der ältesten in Deutschland gilt. Sie bewegt sich in einem gemauerten Ziegeltrog und diente der Fahrtrichtungsänderung von Dampflokomotiven sowie deren Verteilung auf die unterschiedlichen Service-Gleise. Die Drehscheibe wurde mit ihrem Steuerhäuschen restauriert und kann noch per Handkurbel bewegt werden.
Ein weiterer Besuchermagnet ist die abgestellte Güterzuglokomotive der Baureihe 50. Sie stammt aus dem Bestand der Deutschen Reichsbahn (DDR) und wurde Mitte der 80er Jahre ausgemustert. Bevor sie im Natur-Park aufgestellt wurde, diente sie in Eilsleben mehrere Jahre als stationäre Heizlok.
So ist der Natur-Park Schöneberger Südgelände ein Ort, der an das große Eisenbahnzeitalter in Berlin erinnert, der aber gleichzeitig den Wert innerstädtischer, ungeplant gewachsener Natur dokumentiert. Beides wird durch die Kunstwerke für den Besucher zu einer technisch- kulturellen und ökologisch einzigartigen Erlebniswelt verbunden. Aus diesem Grunde war der Park u.a. externes Projekt der EXPO 2000.